Miserable Bilanz für Radverkehrsprojekte des Bezirks Tempelhof-Schöneberg im Jahr 2018

Wir wollen Bilanz ziehen: Was ist im Jahr 2018 im Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur für Radfahrende gelungen, wo herrscht Stillstand, wo gab es gar Rückschritte?

Gehen wir dazu die Elemente der Verkehrsinfrastruktur für Radfahrende einmal durch:

Radschnellverbindungen

  • Eine Radschnellverbindung gibt es bislang noch nicht in Berlin. In den nächsten Jahren sollen insgesamt 100 km Radschnellverbindungen in Berlin entstehen, so sieht es das Mobilitätsgesetz vor. Sie zeichnen sich durch breite, meist separate Wege aus, sind beleuchtet und über längere Strecken ohne Stopp zu befahren.
  • Insgesamt 4 km einer Radschnellverbindung liegt voraussichtlich im Stadtbezirk.
  • Dazu hat die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) die erste Planungsphase beauftragt: Eine Machbarkeitsstudie. (Weitere Informationen dazu auf der Webseite der SenUVK hier)
  • Die Bilanz für 2018: Fortschritt in der Planung.

Vorrangnetz

  • Auch das Vorrangnetz existiert noch nicht in Berlin. Das Mobilitätsgesetz formuliert das Ziel, besonders wichtige Verbindungen von gesamtstädtischer Bedeutung auszubauen und zu einem Vorrangnetz zu verknüpfen. Es wird bevorzugt auf Nebenstraßen – in der Regel Fahrradstraßen – geführt. Auf ihm soll dem Radverkehr Vorrang vor dem motorisierten Verkehr eingeräumt werden.
  • Um das Vorrangnetz aufzubauen, wären die Arbeitsschritte zu erledigen:
    • Zukünftiges Radverkehrsnetz entwerfen,
    • konkrete Radverkehrsanlage, Fahrradstraße, Sonderweg planen (Machbarkeitsstudie, Vorplanung, Entwurfsplanung, Ausführungsplanung, Ausschreibung),
    • konkrete Radverkehrsanlage bauen bzw. ausweisen.
  • SenUVK veröffentlichte die Ausschreibung, um einen Auftragnehmer für den ersten Arbeitsschritt – Radverkehrsnetz entwerfen – zu finden.
  • Die Bilanz für 2018: Kein einziger Arbeitsschritt wurde erledigt. Keine einzige Radverkehrsanlage des Vorrangnetzes wurde im Stadtbezirk geplant, gebaut oder ausgewiesen.

Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen

  • Nach dem Mobilitätsgesetz müssen bis 2030 an den 112 km Hauptverkehrsstraßen des Stadtbezirks sichere Radverkehrsanlagen errichtet werden. Sie sollen so breit sein, dass sich Radfahrende sicher überholen können. Sie sollen gegen unzulässiges Befahren durch Kraftfahrzeuge geschützt sein, was z. B. bei geschützten Radfahrstreifen oder Hochbordradwegen der Fall ist.
  • Um das Ziel zu erreichen, wären im Stadtbezirk ca. 12 km jährlich zu bauen.
  • Noch aus dem Jahr 2017 sind hier Projekte an folgenden Straßen in der Planung: Marienfelder Allee, Boelckestraße, Kolonnenstraße. Keines dieser Projekte ist in der Planung ein Stück voran gekommen, geschweige denn gebaut worden.
  • Es wurden keine neuen Planungen begonnen, so dass auch für die kommenden Jahre kein Vorlauf geschaffen wurde.
  • Lediglich für die Hauptverkehrsstraße Tempelhofer Damm zwischen Alt-Tempelhof und Ullsteinstraße gibt es einen kleinen Fortschritt: Das Beteiligungsverfahren begann. Es fanden eine öffentliche Auftaktveranstaltung und 3 geschlossene Sitzungen für die Leitlinienentwicklung statt. Zeitgleich befasste sich der Verkehrsanlagenplaner mit dem ersten Arbeitspaket „Bestandsanalyse“.
  • Die Bilanz für 2018: Kein nennenswerter Planungsfortschritt, keine Bauausführung, Ziele komplett verfehlt.

Sichere Knotenpunkte

  • Das Mobilitätsgesetz sieht vor, dass im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes berlinweit mindestens 10, im Folgejahr 20 und danach mindestens 30 der gefährlichsten Knotenpunkte so verändert werden, dass die Gefahrenquellen bestmöglich beseitigt werden und die Verkehrssicherheit erhöht wird.
  • Im Stadtbezirk wurde 2018 kein Knotenpunkt entschärft. Ausnahme:
  • Die Kreuzung Kolonnenstraße/Hauptstraße, an der im Januar 2018 eine Radfahrende durch einen abbiegenden LKW getötet wurde, erhielt einen geschützten Radfahrstreifen. Diesen Fortschritt kann sich allerdings weder SenUVK noch der Stadtbezirk als Erfolg zurechnen. (SenUVK vertagte Verbesserungen lt. Schreiben Senatorin Günther 26.03.2018 auf Jahre später nach einer Komplettplanung für die Kolonnenstraße, der Stadtbezirk nahm zur Anordnung der Verkehrslenkung Berlin für den geschützten Radfahrstreifen mit zahlreichen Bedenken Stellung und beabsichtigte, den Bau erst 2019 zu erledigen)
  • Nur der penetrante öffentliche Druck unserer Initiative führte schließlich zum Erfolg, so dass an EINER Zufahrt zu EINEM Knotenpunkt im Bezirk EINE Gefahrstelle beseitigt wurde.
  • Die Bilanz für 2018: Ziele komplett verfehlt. Die einzige Verbesserung im Bezirk entstand nur, indem Initiativen die Verwaltungen „zum Jagen tragen mussten.“

Radverkehrsanlagen im Nebennetz

  • Zu diesem Punkt zählen Maßnahmen, die innerhalb des Nebenroutennetzes im Stadtbezirk umzusetzen sind. Das Nebenroutennetz ist allerdings eine ältere Planungsgrundlage, die gemäß Mobilitätsgesetz weiterzuentwickeln ist. Es geht zukünftig in einem deutlich dichteren Radnetz auf, dass aus Radschnellverbindungen, dem Vorrangnetz, den Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen und Nebenstraßen (inkl. Fahrradstraßen) besteht.
  • Betrachten wir jetzt hier allein die Fortschritte im älteren Nebenroutennetz, an denen der Stadtbezirk arbeitet. (Am Netzelement „Nebenstraßen inkl. Fahrradstraßen“ lt. Mobilitätsgesetz arbeitet der Stadtbezirk derzeit nicht.)
  • Gehen wir jede einzelne Maßnahme durch: Vorweg sei gesagt: Jede dieser Maßnahmen ist von sehr begrenzter örtlicher Ausdehnung, oft handelt es sich nur um einen kleinen Knotenpunkt, eine kurze Strecke oder Querung. Auch die Baukosten sind gering, sie liegen im 5-stelligen oder niedrigen 6-stelligen Bereich.
    • Querung der Potsdamer Straße, Höhe Alvenslebenstraße und Winterfeldtstraße – kein Fortschritt 2018
    • Querung der Hauptstraße zwischen Helm- und Vorbergstraße – Bau 2018 ausgeführt

    • Ringstraße von Kaiserstraße bis Knotenpunkt Ringstraße/Rathausstraße (Markieren Radverkehrsstreifen) – geringer Fortschritt in der Planung
    • Zweirichtungsradweg Alt-Mariendorf zwischen Großbeerenstraße und Forddamm – geringer Fortschritt in der Planung
    • Mariendorfer-Hafen-Weg (Ausbau Radverkehrsanlage) Anbindung Lankwitzer Straße bis LSA 16051 Knotenpunkt Haynauer Straße (Querungshilfe) – geringer Fortschritt in der Planung
    • Buckower Chaussee Einmündungen Heinitzweg und Lintruper Straße (Beschilderung) – Bau 2018 ausgeführt

    • Richard-Tauber-Damm/Grimmingweg (Querungshilfe) – Geringer Fortschritt durch Vergabe, aber blockiert durch Verkehrslenkung Berlin.
    • Radverkehrsanlagen in der Schöneberger Straße (Radverkehrsstreifen) – Geringer Fortschritt durch Vergabe, aber blockiert durch Verkehrslenkung Berlin.
    • Knotenpunkt Alt-Tempelhof/Schönburgstraße (Verlängerung Schutzstreifen und Querungshilfe) – kein Fortschritt 2018
    • Schönburgstraße (Asphaltierung) von Alt-Tempelhof bis Parkstraße – Zwar Fortschritt in Planung in 2018, aber Prognose verschlechtert, Bauausführung erst 2020 statt 2019
    • Parkstraße – Blumenthalstraße von Schönburgstraße bis Friedensplatz – Zwar Fortschritt in Planung in 2018, aber Prognose verschlechtert, Bauausführung erst 2020 statt 2019
    • Hundsteinweg Höhe Hausstockweg (Entfernen Querungsstreifen) – Fortschritt in der Planung 2018
    • Lintruper Straße Kreuzung Raabestraße, Kreuzung Feldstedter Weg – Bau 2018 ausgeführt
    • Lintruper Straße zwischen Lessing- und Goethestraße – Fortschritt in der Planung 2018
    • Radverkehrsführung südlich Bf Südkreuz – Geringer Fortschritt in der Planung, aber aufgehalten durch langdauernde Auditprüfung.
    • Schöneberger Schleife, Yorckplätze bis Cheruskerpark (Verbesserung Radverkehrsführung) – Fortschritt in der Planung 2018
  • Die Bilanz für 2018: An einzelnen kleinen Maßnahmen sind Fortschritte zu verzeichnen.

Ausweisen von neuen Fahrradstraßen

  • Fahrradstraßen sind nach Mobilitätsgesetz geeignete Radverkehrsanlagen im Nebennetz, um Radfahrende gegenüber dem motorisierten Verkehr zu bevorzugen. Deshalb sollen viele Fahrradstraßen neu eingerichtet werden.
  • Im Stadtbezirk wurde im Jahr 2018 keine einzige Fahrradstraße ausgewiesen.
  • Im FahrRat und im Verkehrsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung wurde ein mögliches Projekt in der Handjerystraße besprochen, aber wieder vertagt.
  • Die Bilanz für 2018: Ziele komplett verfehlt. Keine einzige Fahrradstraße ausgewiesen.

Instandhaltungen von Radverkehrsanlagen im Bestandsnetz

  • Die bestehenden Radverkehrsanlagen sind häufig viele Jahrzehnte alt und nicht gepflegt. Deshalb befinden sie sich vielerorts in einem beklagenswerten oder gar gefährlichen Zustand: Löcher, Wurzelaufbrüche, defekte Entwässerungen, Wasserlachen, unebene Beläge…
  • Es gäbe also sehr viel instand zu setzen, auch im Stadtbezirk. Das sind Arbeiten, die in der Regel mit wenig Aufwand zu planen und zu bauen sind.
  • Im Stadtbezirk gab es 2018 einen einzigen – missglückten Anlauf -, den Radweg im Zuge des Tempelhofer Damms zwischen Manfred-von-Richthofen-Straße und Bayernring (Fahrtrichtung Nord, entlang des Flugfelds) zu sanieren. Kurzzeitig tauchten Verkehrszeichen und Absperrungen auf, verschwanden dann aber wieder. Bauausführende, Verkehrssicherungsfirma und Bezirksamt begründen dies unterschiedlich: Planungsfehler, Fehler der Verkehrssicherungsfirma, fehlende Kapazitäten des Bauausführenden. Das Ergebnis vor Ort ist: Nichts.
  • Die Bilanz für 2018: Ziele komplett verfehlt. Keine einzige nennenswerte Instandsetzung an Radverkehrsanlagen im Bestandsnetz.

Fahrradparken

  • SenUVK hat Anfang 2018 ein 100.000-Bügel-Programm aufgelegt: Fahrradbügel, die berlinweit auf öffentlichen Straßen und Plätzen aufzustellen sind, um das Fahrradparken grundsätzlich zu verbessern. Davon entfallen rechnerisch ca. 8.000 Fahrradbügel auf den Stadtbezirk.
  • Wir hatten im Februar 2018 hier dazu aufgerufen, mögliche Standorte für Fahrradbügel auf unserer Webseite einzugeben, um sie dann gesammelt an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg zu übergeben. Insgesamt gaben uns Bürgerinnen und Bürger über 220 Standortwünsche für über 2000 Fahrradbügel. Das ist ein tolles Feedback. Danke an alle Teilnehmenden! Die Wünsche haben wir im März 2018 an das Bezirksamt übergeben.
  • Das Bezirksamt wollte im April 2018 einen Planer und Konzeptersteller beauftragen, um in einem großen Wurf für die ca. 8.000 Bügel zügig Ausführungsunterlagen zu erhalten. Die Vergabe ist aber nicht im April 2018 sondern erst Ende 2018 geschehen!
  • Stattdessen hat das Bezirksamt selbst geplant: Das Ergebnis ist bescheiden: 72 Bügel wurden im öffentlichen Straßenland aufgestellt (Stand Oktober 2018, Antwort auf kleine Anfrage 0329/XX)
  • Hinzu kommen 734 Bügel auf Schulgeländen und 83 Bügel an Spielplätzen.
  • Die Bilanz für 2018: Gemessen an den Zielen sind die Ergebnisse sehr gering.

Rückschritte

  • Leider sind sogar Rückschritte zu Lasten der Sicherheit von Radfahrenden zu verzeichnen:
  • An der Kreuzung des Sachsendamms mit der A103, Fahrtrichtung Innenstadt wurde ein Mehrzweckstreifen mit Fahrradbenutzung (Busspur) zugunsten eines neuen Linksabbiegerfahrstreifen für den motorisierten Verkehr entfernt. Radfahrende fahren ca. 50 m nach der Kreuzung in einen neuen Gefahrpunkt hinein, an dem sie sich in den Fließverkehr einordnen müssen. Trotz Interventionen des ADFC, unserer Initiative, unseren Lösungsvorschlägen an die Verkehrslenkung Berlin, vielen Diskussionen im FahrRat: Passiert ist vor Ort – nichts.
  • Der Radfernweg Berlin – Leipzig führt ab Südkreuz über den Hans-Baluschek-Park zum Priesterweg. Wegen einer leicht zu sanierenden Gefahrstelle an der Rampe zum Priesterweg wurde für den gesamten Weg durch die Grünanlage Hans-Baluschek-Park die Freigabe für Radfahrende entfernt und ein Schild „Radfahrer absteigen“ an der Rampe aufgestellt. Folgt man diesen Anordnungen müssten Radfahrende auf dem Radfernweg Berlin – Leipzig ihr Fahrrad 1,6 km lang schieben!
  • Die Bilanz für 2018: Miserabel, es geht sogar rückwärts!

Fassen wir zusammen

  • Obwohl nun seit zwei Jahren die Politik die Verkehrswende ausruft, seit Mitte 2018 das Mobilitätsgesetz gilt, mehr Planende, Steuernde und Überwachende an Radverkehrsthemen arbeiten: Die Bilanz ist miserabel. 
  • Gemessen an den Zielen des Mobilitätsgesetz sind die Fortschritte auf der Straße marginal.
  • Der Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg schneidet im Vergleich zu anderen Stadtbezirken besonders schlecht ab, weil gerade bei den Projekten mit großem radverkehrlichen Nutzen (Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen, sichere Knotenpunkte, Vorrangnetz, große Instandhaltungen) völliger Stillstand herrschte.
  • Wenn hier nicht kurzfristig umgesteuert und stark beschleunigt wird, scheitert die Verkehrswende und misslingen die Wahlversprechen der regierenden Parteien.