Zum Jahreswechsel von 2020 zu 2021 ziehen wir wieder Bilanz: Was hat sich im Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg für eine bessere Infrastruktur für Radfahrende getan?

Gehen wir dazu die Elemente der Verkehrsinfrastruktur für Radfahrende einmal durch:

Radschnellverbindungen

  • Radschnellverbindungen zeichnen sich durch breite, meist separate Wege aus, sind beleuchtet und über längere Strecken ohne Stopp zu befahren.
  • Im Stadtbezirk wird es voraussichtlich ca. 4 km einer Radschnellverbindung als Teil der Teltowkanalroute geben.
  • Die Planung managt InfraVelo im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK).
  • Im Jahr 2019 hatten wir hier geschrieben, dass die Machbarkeitsstudie fertiggestellt sei und mit den Bürgern diskutiert wurde.
  • Im Jahr 2020 ist die Planung nur einen sehr kleinen Schritt vorangekommen: Die o. g. Machbarkeitsstudie wurde im September 2020 in der Schlussfassung veröffentlicht, das ist ca. 6 Monate später, als im eigenen Terminplan (Stand April 2020) festgehalten.
  • Einschränkend wird auf der Webseite von infravelo auch formuliert: „Die Anmerkungen der einzelnen Fachabteilungen und der Bezirke werden im weiteren Planungsprozess berücksichtigt. Das bedeutet, dass sich die Ergebnisse der Machbarkeit der Fachplanungsbüros nicht zwangsläufig mit den Positionen der verschiedenen Abteilungen der Senatsverwaltung decken müssen.“ Das heißt im Klartext, dass verwaltungsinterne Konflikte nicht ausgeräumt wurden, was aber Aufgabe der Machbarkeitsstudie ist, um anschließend als Bauherr einen klaren Planungsauftrag für EINE Variante erteilen zu können.
  • Die Bilanz für 2020: Nur geringer Fortschritt in der Planung, verwaltungsinterne Konflikte wurden nicht ausgeräumt.

Vorrangnetz

  • Das Mobilitätsgesetz formuliert das Ziel, besonders wichtige Verbindungen von gesamtstädtischer Bedeutung auszubauen und zu einem Vorrangnetz zu verknüpfen. Es wird bevorzugt auf Nebenstraßen – in der Regel Fahrradstraßen – geführt. Auf ihm soll dem Radverkehr Vorrang vor dem motorisierten Verkehr eingeräumt werden.
  • Um das Vorrangnetz aufzubauen, wären die Arbeitsschritte zu erledigen:
    • Zukünftiges Radverkehrsnetz entwerfen,
    • konkrete Radverkehrsanlagen, Fahrradstraßen, Sonderwege planen (Machbarkeitsstudie, Vorplanung, Entwurfsplanung, Ausführungsplanung, Ausschreibung),
    • konkrete Radverkehrsanlagen bauen bzw. ausweisen.
  • Ein von SenUVK beauftragtes Büro entwarf bis September 2020 das Radverkehrsnetz für Berlin. Im Oktober 2020 nahmen die Verbände und Verwaltungen der Bezirke dazu Stellung. Sie reichten ca. 1.000 Hinweise, Kritiken und Verbesserungsvorschläge ein. SenUVK informierte im November und Dezember 2020, dass diese zwar dokumentiert werden, aber wegen der Fülle weitgehend unberücksichtigt bleiben sollen. Nach heutigem Wissenstand soll das Radnetz in dieser Fassung Anfang 2021 als Bestandteil des Radverkehrsplans vom Senat Berlins beschlossen werden.
  • Kritisch ist zu diesem Radnetz anzumerken, dass ca. 60 % des Vorrangnetzes auf Hauptverkehrsstraßen geführt werden sollen. Dort kollidiert der Vorrang für den Radverkehr mit dem Vorrang des ÖPNV und dem motorisierten Verkehr. Es ist zu erwarten, dass der Vorrang des Radverkehrs hier unter die Räder kommt. Das wäre ein eklatanter Verstoß gegen das Mobilitätsgesetz.
  • Konkrete Radverkehrsanlagen, die sich im Vorrangnetz befinden, wurden im Jahr 2020 im Bezirk Tempelhof-Schöneberg nicht geplant, gebaut oder ausgewiesen. (Hinweis: Die weiter unten genannte Radverkehrsanlage am Tempelhofer Damm befindet sich zwar zukünftig im Vorrangnetz, wurde aber nicht mit den Qualitätsstandards des Vorrangnetzes geplant. Deshalb wird sie unter „Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen“ benannt.)
  • Die Bilanz für 2020: Keine einzige Radverkehrsanlage des Vorrangnetzes wurde im Stadtbezirk geplant, gebaut oder ausgewiesen.

Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen

  • Nach dem Mobilitätsgesetz müssen bis 2030 an den 112 km Hauptverkehrsstraßen des Stadtbezirks sichere Radverkehrsanlagen errichtet werden. Sie sollen so breit sein, dass sich Radfahrende sicher überholen können. Sie sollen gegen unzulässiges Befahren durch Kraftfahrzeuge geschützt sein, was z. B. bei geschützten Radfahrstreifen oder Hochbordradwegen der Fall ist.
  • Um das Ziel zu erreichen, wären im Stadtbezirk ca. 12 km beidseitige Radverkehrsanlagen jährlich zu bauen, also 2 Seiten mal 12.000 m gleich 24.000 m einseitige Radverkehrsanlage jährlich.
  • Im Jahr 2020 wurden errichtet: ca. 250 m einseitiger geschützter Radfahrstreifen auf dem Prellerweg unter den Bahnbrücken, Fahrtrichtung West sowie beidseitig ca. 230 m geschützter Radfahrstreifen auf der Kolonnenstraße zwischen Hohenfriedbergstraße und Czeminskistraße. Das sind insgesamt ca. 710 m gleich 3 % des jährlichen Solls lt. Mobilitätsgesetz für den Bezirk Tempelhof-Schöneberg.
  • Am Rande: Die auf der Kolonnenstraße östlich der Hohenfriedbergstraße geschaffenen Bussonderfahrstreifen (Fahrräder frei) sind aus unserer Sicht keine sicheren Radverkehrsanlagen. Sie bieten keinen Schutz vor Falschparkern, verlangen von Radfahrenden das gefährliche Einordnen in den Fießverkehr (an Falschparkern, an haltenden Bussen) und provozieren zu geringe Überholabstände von Kraftfahrzeugen gegenüber Radfahrenden. Zu allem Überfluss wurde auch noch das Be- und Entladen auf den Bussonderfahrstreifen werktags von 10 Uhr bis 14 Uhr erlaubt, was diese „Radverkehrsanlage“ völlig ad absurdum führt.
  • Die vorhandenen Planungen zur Marienfelder Allee, zur Schöneberger Straße, zur Boelckestraße ruhen. Es wurden keine neuen Planungen begonnen, so dass auch für die kommenden Jahre kein Vorlauf geschaffen wurde.
  • Beim Projekt Tempelhofer Damm zwischen Alt-Tempelhof und Ullsteinstraße wurde der Termin zur Bauausführung im Sommer 2020 nicht eingehalten. Erst zum Dezember 2020 wurde die Bauplanungsunterlage im Bezirksamt fertiggestellt. Sie soll nun bis Ende März 2021 bei SenUVK geprüft werden. Dann stehen noch Ausführungsplanung, Vorbereitung der Vergabe, die Vergabe selbst an. Das Risiko ist enorm, dass der jetzt geplante Bauausführungstermin zwischen April und Oktober 2021 auch nicht eingehalten wird.
  • Die Bilanz für 2020: Nur ca. 710 m Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen wurden errichtet. Das ist um den Faktor 30 zu wenig im Vergleich zu den Zielen des Mobilitätsgesetzes.
Neu errichtet: Ca. 250 m geschützter Radfahrstreifen am Prellerweg, Fahrtrichtung West
Neu errichtet: ca. 230 m geschützter Radfahrstreifen Kolonnenstraße Fahrtrichtung Ost
Neu errichtet: ca. 230 m geschützter Radfahrstreifen Kolonnenstraße Fahrtrichtung West

Popup-Radwege

  • Während im Nachbarbezirk Friedrichshain-Kreuzberg im Verlauf des Jahres 2020 viele temporäre Radfahrstreifen (sogenannte Popup-Radwege) geschaffen wurden, hat der Bezirk Tempelhof-Schöneberg keinen einzigen temporären Radfahrstreifen geschaffen.
  • Die Bilanz für 2020: Ergebnis gleich Null.

Sichere Knotenpunkte

  • Das Mobilitätsgesetz sieht vor, dass jährlich mindestens 30 der gefährlichsten Knotenpunkte in Berlin so verändert werden, dass die Gefahrenquellen bestmöglich beseitigt werden und die Verkehrssicherheit erhöht wird.
  • Im Stadtbezirk wurde 2020 kein einziger Knotenpunkt entschärft.
  • Die Bilanz für 2020: Ziele komplett verfehlt.

Radverkehrsanlagen im Nebennetz

  • Zu diesem Punkt zählen Maßnahmen, die innerhalb des Nebenroutennetzes im Stadtbezirk umzusetzen sind. Das Nebenroutennetz ist allerdings eine ältere Planungsgrundlage, die gemäß Mobilitätsgesetz weiterzuentwickeln ist. Es geht zukünftig in einem deutlich dichteren Radnetz auf, dass aus Radschnellverbindungen, dem Vorrangnetz, den Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen und Nebenstraßen (inkl. Fahrradstraßen) besteht.
  • Betrachten wir jetzt hier allein die Fortschritte im älteren Nebenroutennetz, an denen der Stadtbezirk arbeitet.
  • Gehen wir jede einzelne Maßnahme durch: Vorweg sei gesagt: Jede dieser Maßnahmen ist von sehr begrenzter örtlicher Ausdehnung, oft handelt es sich nur um einen kleinen Knotenpunkt, eine kurze Strecke oder Querung. Auch die Baukosten sind gering, sie liegen im 5-stelligen oder niedrigen 6-stelligen Bereich.
    • Querung der Potsdamer Straße, Höhe Alvenslebenstraße und Winterfeldtstraße – kein Fortschritt 2020.
    • Ringstraße von Kaiserstraße bis Knotenpunkt Ringstraße/Rathausstraße (Markieren Radverkehrsstreifen) – kein Fortschritt in der Planung, verantwortlicher Mitarbeiter ist ins Gesundheitsamt gewechselt.
    • Zweirichtungsradweg Alt-Mariendorf zwischen Großbeerenstraße und Forddamm – kein Fortschritt in der Planung.
    • Mariendorfer-Hafen-Weg (Ausbau Radverkehrsanlage) Anbindung Lankwitzer Straße bis Lichtsignalanlage 16051 und Knotenpunkt Haynauer Straße (Querungshilfe) – kein Fortschritt in der Planung.
    • Knotenpunkt Alt-Tempelhof/Schönburgstraße (Verlängerung Schutzstreifen und Querungshilfe) – kein Fortschritt 2020.
    • Schönburgstraße (Asphaltierung) von Alt-Tempelhof bis Parkstraße – kein Fortschritt 2020.
    • Parkstraße – Blumenthalstraße von Schönburgstraße bis Friedensplatz – Bauausführung bis 2022 statt 2019 geplant.
    • Lintruper Straße zwischen Lessing- und Goethestraße – kein Fortschritt 2020.
    • Radverkehrsführung südlich Bf Südkreuz – Projekt wurde abgebrochen, weil InfraVelo dort eine Radschnellverbindung plant.
    • Schöneberger Schleife, Yorckplätze bis Cheruskerpark (Verbesserung Radverkehrsführung) – kein Fortschritt 2020.
  • Die Bilanz für 2020: Ergebnis nahezu Null.

Ausweisen von neuen Fahrradstraßen

  • Fahrradstraßen sind nach Mobilitätsgesetz geeignete Radverkehrsanlagen im Nebennetz, um Radfahrende gegenüber dem motorisierten Verkehr zu bevorzugen. Deshalb sollen viele Fahrradstraßen neu eingerichtet werden.
  • Das Bezirksamt beauftragte 2020 einen externen Planer, um die Fahrradstraße Handjerystraße, die Ost-West-Fahrradstraße über Belziger, Monumentenstraße und die Fahrradstraße Diedersdorfer Weg zu planen. Planungsergebnisse lagen zum Jahresende nicht vor.
  • Im Stadtbezirk wurde im Jahr 2020 keine einzige Fahrradstraße ausgewiesen.
  • Die Bilanz für 2020: Ziele komplett verfehlt. Keine einzige Fahrradstraße ausgewiesen, nur sehr geringe Fortschritte in der Planung.

Instandhaltungen von Radverkehrsanlagen im Bestandsnetz

  • Die bestehenden Radverkehrsanlagen sind häufig viele Jahrzehnte alt und nicht gepflegt. Deshalb befinden sie sich vielerorts in einem beklagenswerten oder gar gefährlichen Zustand: Löcher, Wurzelaufbrüche, defekte Entwässerungen, Wasserlachen, unebene Beläge… Es gäbe also sehr viel instand zu setzen, auch im Stadtbezirk. Das sind Arbeiten, die in der Regel mit wenig Aufwand zu planen und zu bauen sind.
  • Konkret begonnen wurden im Bezirk zwei Vorhaben: Attilastraße einseitig zwischen Arnulfstraße und Tenkredstraße, gleich 140 m: Erneuerung und Verbreiterung des Radwegs – Bauausführung begann im Oktober 2020.
  • Vorarlberger Damm – Instandsetzung des Radwegs: Zuschlag zur Bauausführung im Oktober 2020 erteilt, Bauausführung hat noch nicht begonnen, Bauende ist bis Frühjahr 2021 geplant.
  • Fertiggestellt wurde ein Vorhaben: Yorckstraße Fahrtrichtung West zwischen Yorckstraße 43 und Bülowstraße, gleich 110 m. Der Radweg wurde hinter eine Bushaltestelle verlegt, allerdings in einer Breite von 1,6 m neu gebaut, die weit unterhalb der Qualitätsstandards laut Mobilitätsgesetz liegt (Standard 2,3 m, Mindestbreite 2,0 m).
  • Die Bilanz für 2020: Ziele weitgehend verfehlt. Eine einzige sehr kleine Radverkehrsanlage wurde im Jahr 2020 fertig instandgesetzt.
Erneuert: Radweg Yorckstraße Fahrtrichtung West
Bauarbeiten am Radweg Attilastraße Fahrtrichtung Südwest
Bauarbeiten am Radweg Attilastraße Fahrtrichtung Südwest

Fahrradparken

  • SenUVK hat Anfang 2018 ein 100.000-Bügel-Programm aufgelegt: Fahrradbügel, die berlinweit auf öffentlichen Straßen und Plätzen aufzustellen sind, um das Fahrradparken grundsätzlich zu verbessern. Davon entfallen rechnerisch ca. 8.000 Fahrradbügel auf den Stadtbezirk.
  • Wir hatten im Februar 2018 hier dazu aufgerufen, mögliche Standorte für Fahrradbügel auf unserer Webseite einzugeben, um sie dann gesammelt an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg zu übergeben. Insgesamt gaben uns Bürgerinnen und Bürger über 220 Standortwünsche für über 2000 Fahrradbügel.
  • Das Bezirksamt beauftragte dann erst Ende 2018 ein Planungsbüro für Konzept und Bauplanung. Auch 2020 wurden keine Ergebnisse dieses Planungsauftrags vom Bezirksamt vorgestellt!
  • Das Bezirksamt hat in Eigenregie einige Fahrradbügel aufgestellt. Deren Anzahl ist uns nicht bekannt. Sie dürfte maximal im dreistelligen Bereich liegen.
  • Die Bilanz für 2020: Gemessen am Ziel von 8.000 Fahrradbügeln im Bezirk nur geringe Ergebnisse.

Grünbeschichtung von Radfahrstreifen

  • Vorhandene Radfahrstreifen sollen grün markiert werden.
  • Das Management von Planung und Bauausführung erledigt InfraVelo im Auftrag von SenUVK.
  • Im Bezirk wurde 2020 kein Radfahrstreifen grün markiert.
  • Die Bilanz für 2020: Ergebnis gleich Null.

Fassen wir zusammen

  • Die Ziele sind groß, das Ergebnis ist – wie bereits in den Vorjahren – nahezu NICHTS! Die Bilanz für 2020 ist außerordentlich schlecht.
  • Selbst einfache Aufgaben, die nur geringe Planungs- und Bauaufwände verursachen (Fahrradstraßen, Instandhaltungen), gelingen nicht.
  • Im großen Projekt Tempelhofer Damm ist gegenüber den Zielen aus dem Jahr 2019 wieder ein Verzug von einem Jahr eingetreten. Und es ist absehbar, dass auch das jetzige Ziel der Bauausführung zwischen April und Oktober 2021 gerissen wird.
  • Weil auch der planerische Vorlauf fehlt, ist auch keine Besserung im nächsten Jahr zu erwarten.
  • Wie schon im letzten Jahr konstatiert: Bei dem aktuellen „Tempo“ würde es ca. 300 Jahre dauern, bis die Ziele des Mobilitätsgesetzes in Tempelhof-Schöneberg umgesetzt wären.