Tempelhofer Damm für alle

Als Bürgerinitiative engagieren wir uns seit Jahren für einen Tempelhofer Damm für alle. Inzwischen geben die Busspuren dort und auf dem Mariendorfer Damm seit kurzem einen ersten Vorgeschmack auf das, was dauerhaft im Herzen von Tempelhof und Mariendorf langfristig passieren wird: Bisherige Parkplätze werden zu Radwegen. Auf Flugblättern wird dagegen polemisiert und von „Vernichtung“ gesprochen. Der Boulevard schreibt von „Untergang“. Weil Polemik aber nicht weiterhilft, folgt hier die sachliche Einordnung des Geschehens.

Was ist bisher passiert?

2016 haben die Bürger*innen der Politik mit einem fulminanten Volksbegehren klar gemacht, dass Radfahren endlich für alle überall in der Stadt sicher und entspannt möglich sein muss. Gefordert wurden unter anderem sichere Radwege an allen Hauptstraßen sowie ein Netz aus Fahrradstraßen. Ziel ist ein Radverkehrsnetz, das eine ähnliche Qualität hat wie die Netze für den Autoverkehr oder für den ÖPNV. Denn es soll möglichst einladend sein. Alle Menschen sollen zügig und angstfrei an ihr Ziel kommen. Doch die Verabschiedung dieses Gesetzes zog sich hin.

Demontration für sichere Radwege am Tempelhofer Damm, 6.10.2018

Die Lage in Tempelhof und Mariendorf blieb derweil hochgefährlich. Eine vierspurige Bundesstraße lässt den Verkehr mitten durch die Ortskerne mit Geschäften und sozialen Einrichtungen donnern. Kinder, Jugendliche, Senior*innen und alle anderen, die auf ihr Fahrrad angewiesen sind, waren weiterhin gezwungen, sich zwischen die 40.000 Autos und Lkws am Tag zu wagen. Und leider blieben die schweren Unfälle nicht aus.

Vierspurige Straße und zwei Parkstreifen
Die Situation vor dem Umbau

Deshalb haben wir nicht mehr lange gewartet, sondern binnen kurzer Frist erneut Unterschriften für einen fahrradfreundlichen T-Damm gesammelt. Die Folge: 2017 wurden zwei Anträge zum Umbau des Tempelhofer Damms in der BVV beschlossen: unser Einwohnerantrag für einen zügigen Umbau und ein SPD-Antrag zu einer umfassenden Umgestaltung inklusive Bürgerbeteiligungsverfahren. Es folgte eine detaillierte, mehrstufige Planung, die in einem langwierigen Beteiligungsverfahren mehrfach in der Öffentlichkeit vorgestellt und besprochen wurde. Mittlerweile wurde auch das Mobilitätsgesetz beschlossen und die dauerhafte Umgestaltung ersetzt praktisch unseren geforderten, zügig umzusetzenden Verkehrsversuch. Und als erste Maßnahme der umfassenderen Umgestaltung sollte im Frühjahr 2021 der Bau der Radverkehrsanlagen beginnen. Darauf warten wir bis heute: Die personelle Schwäche des Bezirksamts und langwierige bürokratische Prozesse verzögern die Umsetzung weiter. Erst die Bauarbeiten der U-Bahn U6 bedeuteten einen ersten Fortschritt auf der Straße.

Was passiert aktuell auf der Straße?

Was aktuell auf der Straße ist, geht deshalb nicht auf unsere Planungen zurück, sondern das dient vorrangig dem Schienenersatzverkehr. Die Busse kompensieren komplette U-Bahnzüge. Sie transportieren erheblich mehr Menschen als zur gleichen Zeit dort in den Autos entlang fahren. Deshalb müssen sie zügig durchkommen und brauchen separate Spuren. Das wird auch bei Bauarbeiten an anderen U-Bahnstrecken so gemacht. Gut ist aber, dass hier endlich auch der Radverkehr systematisch mit einbezogen wurde. Der Unterschied in der Verkehrssicherheit zu vorher ist so deutlich, dass es aus unserer Sicht kein Zurück geben darf.

Kombinierte Bus- und Radspur auf dem Tempelhofer Damm, 20.04.2021

Was soll langfristig passieren?

Zwischen Alt-Tempelhof und der Ullsteinstraße sollen in der Regel geschützte Radverkehrsanlagen auf der bisher durch abgestellte Autos belegten Fläche entstehen. Die Radwege sind planmäßig 2 Meter breit. Sie werden durch einen 85 cm bereiten Schutzstreifen vom übrigen Verkehr getrennt und mit Pollern geschützt. Die Poller stehen dabei ca. 25 Zentimeter links neben dem Radweg, sind etwa 10 cm breit. 50 cm – und damit der meiste Platz des Schutzstreifens – befinden sich links der Poller auf der Seite des Autoverkehrs.

Diese Poller sind nötig, weil zu viele Autofahrende einfache Striche im Zweifel überfahren. Auch das Parken auf Radwegen ist leider zu häufig verbreitet. Beides gefährdet erheblich die Sicherheit der Radfahrenden. Und das verhindert, dass unsichere Menschen auf das Fahrrad umsteigen.

Vorsätzliche Regelmissachtung gefährdet schwächere Verkehrsteilnehmde

Unsere Mahnungen übrigens, wonach 2 Meter nicht für zwei nebeneinander fahrende Menschen reichen werden, wurden unter unserer Kritik im Laufe der Planungen nicht aufgenommen. Zwei Autospuren bleiben in jede Richtung erhalten. So kommt es, dass man weiterhin Auto fahren muss, wenn man nebeneinander fahren und sich unterhalten möchte. Dennoch bedeuten diese Radverkehrsanlagen bereits jetzt einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem früheren Bestand.

Warum ist diese Lösung gerecht?

In der Vergangenheit war die Platzverteilung am Tempelhofer Damm sehr einseitig auf Autofahrende ausgerichtet. Zukünftig finden alle Menschen auf dem Tempelhofer Damm Platz: Die Fußwege werden von Radfahrenden befreit, die verängstigt, aber regelwidrig auf die Gehwege geflüchtet sind. Der Radverkehr erhält erstmals eigenen Platz und wird auf separaten Spuren geführt. Radfahren durch Tempelhof wird dadurch sicher. Und auch der Autoverkehr profitiert: einerseits gibt es weniger Mischverkehr, andererseits sind auch mehr Menschen bereit, auf das Fahrrad umzusteigen, so dass es zu weniger Staus kommen wird. Zudem profitieren von der Umwidmung der bisherigen Stellplätze mehr Menschen im Vergleich zu jenen, die vorher dort geparkt haben.

Zu beachten ist auch, wieviele Menschen kein Auto haben: Erst jüngst zeigte eine Karte aus Nord-Neukölln, dass in solch dicht bebauten Stadtviertel rund vier- bis fünfmal mehr Menschen leben, als Autos angemeldet sind. Diese Menschen haben ebenso ein Recht auf sichere Mobilität.

Wir sehen: erst durch die neuen Rad- und Busspuren werden auch wirklich alle Verkehrsteilnehmer berücksichtigt.

Kann man nicht alternativ Nebenstraßen für den Radverkehr ausbauen?

Der Ausbau der Nebenstraßen kann keine Radwege am Tempelhofer Damm ersetzen. Es gibt schließlich kein alternatives Rathaus, keine alternativen Einkaufszentren und keine alternativen sozialen Einrichtungen in den Nebenstraßen. Wer die Geschäfte in dieser Straße erreichen will, der muss auch diese Straße benutzen.

Das Mobilitätsgesetz schreibt aus gutem Grund Radwege an allen Hauptstraßen vor: Hauptstraßen sind direkt, sie verbinden Stadtteile und an ihnen liegen viele wichtige Ziele. Sie bilden das Rückgrat des Verkehrsnetzes. Nebenstraßen enden dagegen oftmals an der nächsten Hauptstraße und eignen sich deshalb nicht für längere Strecken. Deshalb können Nebenstraßen zwar die Feinerschließung in die Quartiere leisten, aber auch mit dem Fahrrad führen die längeren Strecken über die Hauptstraßen. Zudem: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn also die Nebenstraßen für den Radverkehr genutzt werden sollen, dann müssen sie auch so breit und sicher sein, dass dort keine Gefährdung stattfindet. Also, dass dann dort die Parkplätze entfallen. Und davon hören wir aber nichts.

Wie dem auch sei: Praktisch bedeutet die Forderung nach einem alternativen Radnetz in Nebenstraßen, dass die Hauptstraßen den Autos vorbehalten bleiben und Radfahrer sonstwohin verschwinden sollen. Und das ist weder gerecht noch zielführend.

Wer bezahlt das?

Alle, die Steuern zahlen. Und die sind in diesem Projekt gut angelegt, denn hier wird wichtige Straße aufgewertet und die Verkehrssicherheit erheblich erhöht. Und übrigens bezahlen auch Menschen ohne Auto Steuern.

Und was ist mit den Geschäften am Tempelhofer Damm?

Der Einzelhandel am Tempelhofer Damm dient vorrangig der Nahversorgung. Die Geschäfte leben vor allem von der Kundschaft aus der Umgebung. Und nach allen internationalen Erfahrungen profitiert die lokale Wirtschaft deutlich, wenn sie besser mit dem Rad und zu Fuß erreicht werden kann. Jetzt kommt es also darauf an, dass der Handel sich vor Ort auch für die neue Kundschaft mit guten Angeboten öffnet und diese neue Zielgruppe aktiv umwirbt. Und für Kunden, die dennoch mit dem Auto anreisen, findet sich bei Karstadt, im Hafen oder im T-Damm-Center in der Regel immer einen freien Parkplatz.

Der Lieferverkehr ist ebenfalls zu berücksichtigen, aber weder er noch der Wirtschaftsverkehr dürfen schwächere Verkehrsteilnehmer gefährden. Wir müssen deshalb an die Tötung eines Mädchens durch einen LKW im Jahr 2008 vor Woolworth erinnern. So etwas darf sich nicht mehr wiederholen. Klar ist: es braucht bessere und vor allem stadtverträgliche Lieferkonzepte. Dazu wurde auch ein Microhub am S-Bahnhof Tempelhof eingerichtet. In der Planung des dauerhaften Umbaus wird der Lieferverkehr in den verkehrsschwächeren Zeiten berücksichtigt.

Wo sollen die Autos hin?

Für den Autoverkehr bleiben wie auch bisher zwei Fahrspuren je Richtung erhalten. Zudem gibt es am Tempelhofer Damm 3 Parkhäuser, die die wegfallenden Stellplätze kompensieren können. Das größte Parkhaus – das am Hafen – ist bereits jetzt rund um die Uhr zugänglich.

Aber es fehlen doch jetzt schon Parkplätze?

Wenn man die Parkhäuser einbezieht, dann gibt es noch viele bislang ungenutzte Kapazitäten. Zudem ist das ganze Quartier zu berücksichtigen. Wir haben 2016 nachgezählt. Durch die Umwandlung der Parkplätze auf dem Tempelhofer Damm entfallen nur 3 Prozent aller Stellplätze, die sich im Umkreis von 500 Metern um diese Verkehrsachse befinden. Ein sehr kleiner Anteil für erheblich mehr an Verkehrssicherheit. Geht man mit offenen Augen durch Tempelhof und auch durch Mariendorf, so stellt man fest, dass trotzdem überall Autos abgestellt werden können. Reichen diese Parkplätze nicht, dann wurden zu viele Autos gekauft, die im Quartier keinen Platz mehr finden – und dann müssen erst recht alternative Verkehrsmittel gestärkt werden.

Stellplätze ohne Ende in den Seitenstraßen, hier in der Friedrich-Wilhelm-Straße

Im Gegensatz zu den vielen Abstellmöglichkeiten für Autos muss man Fahrradständer dagegen suchen, obwohl sie viel weniger Platz brauchen.

Fahrräder abstellen verboten

Aber da gab es doch schon immer Parkplätze.

Die rechten Fahrspuren sind öffentliche Flächen, die nun von der Stadt anders genutzt werden. Es gibt keinen Anspruch, wonach die Allgemeinheit privaten Fahrzeugen an jeder Straße öffentlichen Raum zum Abstellen zur Verfügung stellen muss. Auch die Kfz-Steuer begründet weder ein Eigentumsrecht noch ein Nutzungsanspruch an öffentlichem Straßenland. Wer einen sicheren Stellplatz haben möchte, sollte sich selbst einen solchen privat anmieten.

Hilft Parkraumbewirtschaftung?

Ja. Parkraumbewirtschaftung bevorzugt Anwohnende. Sie zahlen für einen Anwohnerparkausweis derzeit ca. 20 Euro für zwei Jahre. Für alle anderen wird es teurer, so dass sie das Gebiet meiden werden und den Anwohnenden so mehr Platz zur Verfügung steht.

Fazit

Die kombinierten Bus- und Radspuren sind ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem Vorzustand. Die Rad- und Busspuren schließen endlich die größte Lücke im Radnetz des Alt-Bezirks Tempelhof. Bereits jetzt sind dort deutlich mehr Menschen auf dem Fahrrad zu sehen als früher. Auch ohne die Parkplätze am Tempelhofer und am Mariendorfer Damm bleiben im direkten Umfeld sehr, sehr viele Stellplätze für Autos erhalten. Deshalb werden jetzt endlich alle Verkehrsmittel berücksichtigt. Und das war überfällig.

Allerdings fällt eine große Bereitschaft zum Regelbruch auf. Einerseits werden trotz Verbot Autos rücksichtslos auf den neuen Bus- und Radspuren abgestellt. Und gleichsam als Verlängerung dieser Rücksichtslosigkeit auf der Straße wird nun die Verwaltung direkt zum Gesetzesbruch aufgefordert: Das Mobilitätsgesetz schreibt eindeutig sichere Radverkehrsanlagen an allen Hauptstraßen vor. Aber weil das für wenige unbequem ist, sollen Gesetze auf einmal nicht mehr gelten. Wenn aber Gesetze nur dann gelten sollen, wenn es bequem ist, dann herrscht Wilder Westen.

Stattdessen muss die Verwaltung endlich diese Vorgaben ernst nehmen. Und das heißt, dass unmittelbar nach Ende des Schienenersatzverkehrs die Radverkehrsanlagen auf die Straße gebracht werden müssen. Im nördlichen Teil liegen die Pläne vor. Und im südlichen Teil ab Ullsteinstraße sind Popup-Radwege anzulegen, bis eine endgültige Planung erstellt und umgesetzt wird.

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