Presseinformation: Fahrradinitiative lobt und kritisiert Müller in Offenem Brief zum Radverkehrs- und Parkplatzstreit

Berlin, 15. Juli 2017. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat seine Nachbarn in Tempelhof aufgerufen, gegen Festlegungen in seinem eigenen Koalitionsvertrag zu protestieren. Das Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg kritisiert Müller scharf und hat ihm heute einen Offenen Brief geschickt.

Der Schulenburgring in Tempelhof ist eine parallel zum Tempelhofer Damm verlaufende Einbahnstraße. Diese wurde nach einem Konzept von 2014 vom damaligen SPD-geführten Bezirksamt unter der heutigen Leitung von Stadträtin Christiane Heiß (Bündnis90/Grüne) umgesetzt. Konkret wurde diese Einbahnstraße für Radfahrer nun auch entgegen der Fahrtrichtung freigegeben. Im Zuge der Freigabe mussten auch Parkplätze entfallen, damit an der Kreuzung gute Sichtbeziehungen der Verkehrsteilnehmer gewährleistet sind. Dass das aber direkt vor seiner Haustür passiert, damit scheint Michael Müller nicht einverstanden zu sein.

In Müllers Brief vom 13.07., den er als “Kandidat für das Abgeordnetenhaus” schrieb und welcher an die umliegenden Anwohner verteilt wurde, heißt es wörtlich: “Selbstverständlich kann Unverständnis über diese überzogene Maßnahme auch direkt an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg gerichtet werden.” Es folgen Adresse und Telefonnummer. Müller ruft also öffentlich dazu auf, gegen die Entscheidung der Bezirksverwaltung und gegen seinen eigenen Koalitionsvertrag zu protestieren.

“Wir dachten erst, das Schreiben sei eine Fälschung, so unglaublich erschien es uns”, sagt Norbert Michalke vom Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg, “doch dann stellte sich heraus, daß es wirklich vom Büro des Regierenden Bürgermeisters kam”. Dass ein Berliner Bürgermeister öffentlich dazu aufruft, die Koalitionspartnerin auf Bezirksebene zu kritisieren, sei ein einmaliger Vorgang.

Verwunderlich ist dieser Vorgang insofern, dass auch 80% der SPD-Kandidaten dem Wegfall von Parkplätzen für einen sicheren Radverkehr zustimmen. Vor der letzten Abgeordnetenhauswahl sagten die große Mehrheit der SPD-Kandidaten, dass für Radwege auch Parkplätze wegfallen müssten. Diese Umfrage ist von der NGO Abgeordnetenwatch im Sommer 2016 veröffentlicht worden.

Die Fahrradinitiative hat nun mit einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister reagiert und sich hinter die Stadträtin gestellt. Hier das Schreiben, das dem Büro des Regierenden Bürgermeisters im Verlauf des Samstages zugestellt wird, im Wortlaut:

 

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, sehr geehrter Herr Müller,

wie wir der Presse entnommen haben, wenden Sie sich gegen den Wegfall von Parkplätzen in der Einbahnstraße Schulenburgring im Stadtteil Tempelhof. Dabei greifen Sie eine Anordnung der zuständigen Stadträtin Frau Heiß an und fahren ihr öffentlich in die Parade.

Im FahrRat, dem bezirklichen Gremium zur Beratung von Fahrradangelegenheiten und im Ausschuss Straßen, Verkehr, Grün und Umwelt haben die Fahrradverbände Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg, Volksentscheid Fahrrad, die ADFC Stadtteilgruppen Tempelhof und Schöneberg, der BUND und der VCD zusammen mit den Ausschussmitgliedern aller Parteien mehrmals über die Einbahnstraße Schulenburgring beraten. Sie ist als Umgehungsmöglichkeit des stark verkehrsbelasteten Tempelhofer Damms für den Radverkehr von großer Bedeutung.

Im Koalitionsvertrag steht, dass Einbahnstraßen, soweit möglich in beide Richtungen für den Radverkehr geöffnet werden sollen. Das ist für den Schulenburgring geschehen.

Dabei muss die Sichtbarkeit und Sicherheit des Radverkehrs auch in der Gegenrichtung gewährleistet werden. Dies ist auch gelungen, indem in dem engen, in der Kurve liegenden und somit schlecht einsehbaren Einmündungsbereich des Schulenburgrings in die Manfred-von-Richthofen-Straße die Sichtbeziehungen der Verkehrsteilnehmer durch die Umwidmung von Kfz-Stellplätzen sichergestellt wurde.

Wenn Sie, sehr geehrter Herr Müller, sich nun öffentlich gegen ein die Verkehrssicherheit förderndes Vorgehen stellen, fragen wir uns, wie Sie Ihr Ziel erreichen wollen, dass Berlin Fahrradmetropole wird. Denn über dieses klare Statement Ihrer Partei, dass Sie auf Ihrer Homepage bewerben, haben wir uns sehr gefreut.

Der Radverkehr hat in den letzten Jahren immens zugenommen, erhält aber nur 3% der Verkehrsflächen. Wenn also einige Parkplätze für sichereren Radverkehr vor Ihrem Küchenfenster wegfallen, ist das lediglich ein Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit für alle VerkehrsteilnehmerInnen.

Für eine gute Zusammenarbeit ist es wichtig, dass wir Vertrauen haben können in die Einhaltung der erzielten Vereinbarungen. Ehrlich gesagt, sehr geehrter Herr Kandidat fürs Abgeordetenhaus: Eigentlich wollen wir nur sicher und entspannt Radfahren – auch in Ihrem Tempelhof.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg

Dr. Beate Mücke     Stefan Meißner

 

Informationen und Links:

SPD tritt für nachhaltige Radpolitik ein / Berlin soll zur Fahrradmetropole werden: https://www.spd.berlin/aktuell/news/juni/fahrradsternfahrt-2017/

Umfrage Abgeordnetenwatch: https://www.abgeordnetenwatch.de/sites/abgeordnetenwatch.de/files/these12.gif

Auszug aus dem Koalitionsvertrag zum Öffnen von Einbahnstraßen: https://www.spd.berlin/partei/beschluesse-der-berliner-spd/der-koalitionsvertrag/koalitionsvertrag-i-investieren-in-die-stadt-von-morgen-4/

Ansprechpartner für die Presse

Stefan Meißner, 0172-580 2841, presse at rad-ts.de

Norbert Michalke, 0172-315 3916

 

Über das Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg

Das Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg wurde von Unterstützern des Volksentscheid Fahrrads und ADFC-Mitgliedern aus dem Bezirk am 25.04.2017 gegründet und umfasst Aktive verschiedener Initiativen und Verbände. Sie wollen die Umsetzung des z. Zt. verhandelten RadGesetzes (MobilitätsGesetz III) auf Bezirksebene voranbringen und fordern eine angemessene Qualität von Fahrradinfrastruktur – gut gemeinte Verschlimmbesserungen gibt es in Berlin bereits genug. Das Netzwerk arbeitet eng mit den anderen Netzwerken unter dem Dach von www.changing-cities.org zusammen.

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