Wie auch schon in den Vorjahren ziehen wir zum Jahreswechsel Bilanz: Was hat sich im Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg für eine bessere Infrastruktur für Radfahrende getan?

Schauen wir uns die Elemente der Verkehrsinfrastruktur einzeln an:

Radschnellverbindungen

  • Radschnellverbindungen zeichnen sich durch breite, meist separate Wege aus, sind beleuchtet und über längere Strecken ohne Stopp zu befahren.
  • Im Stadtbezirk wird es voraussichtlich ca. 4 km einer Radschnellverbindung als Teil der Teltowkanalroute geben.
  • Die Planung managt InfraVelo im Auftrag der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK).
  • In den Jahren 2019 und 2020 hatten wir hier geschrieben, dass die Machbarkeitsstudie fertiggestellt sei und mit den Bürgern diskutiert wurde.
  • Im Jahr 2021 wurde an der nächsten Planungsphase „Vorplanung“ gearbeitet, ohne sie abzuschließen oder in der Öffentlichkeit zu präsentieren.
  • Die Bilanz für 2021: Nur sehr geringer Fortschritt in der Planung. Aus unserer Sicht Ziel nicht erreicht.

Vorrangnetz

  • Das Mobilitätsgesetz formuliert das Ziel, besonders wichtige Verbindungen von gesamtstädtischer Bedeutung auszubauen und zu einem Vorrangnetz zu verknüpfen.
  • Ein von der Senatsverwaltung beauftragtes Büro entwarf im Jahr 2020 das Radverkehrsnetz inklusive Vorrangnetz für Berlin. Im Oktober 2020 nahmen die Verbände und Verwaltungen der Bezirke dazu Stellung. Sie reichten ca. 1.000 Hinweise, Kritiken und Verbesserungsvorschläge ein, die nur in geringem Maße ins Radverkehrsnetz aufgenommen wurden.
  • Im Jahr 2021 beschloss der Senat dann den Radverkehrsplan mit dem Radverkehrsnetz, so dass nun eine verbindliche Vorgabe für das Radverkehrsnetz und dessen Standards existiert.
  • In unserem Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg: Im Jahr 2021 wurden auf der Bülow- und Kleiststraße geschützte Radfahrstreifen neu errichtet, die im Vorrangnetz liegen und weitgehend den für das Vorrangnetz vorgeschriebenen Qualitätsstandards genügen. Detaillierte Informationen zu diesem Projekt findest Du hier in unserem Beitrag. Die Länge der geschützten Radfahrstreifen beträgt je Straßenseite ca. 1,1 km (gleich 2,2 km).
  • Im Vorrangnetz befindet sich außerdem der 2021 erneuerte und verbreiterte Radweg des Vorarlberger Damms (nur auf der Südseite zwischen Riemenschneiderweg und der Brücke über die A100). Details zu diesem Projekt findest Du hier. Die Länge des Radwegs beträgt ca. 0,75 km. Er genügt leider nicht des Qualitätsstandards des Vorrangnetzes.
  • Die geplanten Radverkehrsanlagen auf dem Tempelhofer Damm zwischen Alt-Tempelhof und Ullsteinstraße werden sich zukünftig ebenfalls im Vorrangnetz befinden. Hier wurden 2021 für den Ersatzverkehr für die gesperrte U-Bahnlinie 6 zunächst temporäre ungeschützte Radfahrstreifen mit Freigabe für den Linienverkehr angelegt – ein deutlicher Fortschritt für Radfahrende. Die Planung für die geschützten Radfahrstreifen wurde abgeschlossen und Baufirmen wurden beauftragt. Die Bauarbeiten begannen im Dezember 2021.
  • Die Bilanz für 2021: 2,95 km Vorrangnetz, davon 2,2 km nach geltenden Standards wurden errichtet. Zum Einordnen: Je Jahr und Stadtbezirk sind ab jetzt überschläglich 48 km (einseitige Radverkehrsanlage bzw. 24 km mit beidseitigen Radverkehrsanlagen oder Fahrradstraßen) zu errichten, um das Ziel lt. Mobilitätsgesetz und Koalitionsvereinbarung der aktuellen Landesregierung zu erreichen. Das Tempo muss sich also um den Faktor 16 erhöhen.
Neue geschützte Radfahrstreifen auf der Bülow- und Kleiststraße
Erneuerter Radweg Vorarlberger Damm

Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen

  • Nach dem Mobilitätsgesetz müssen bis 2030 an den Hauptverkehrsstraßen des Stadtbezirks sichere Radverkehrsanlagen errichtet werden. Sie sollen so breit sein, dass sich Radfahrende sicher überholen können. Sie sollen gegen unzulässiges Befahren durch Kraftfahrzeuge geschützt sein, was z. B. bei geschützten Radfahrstreifen oder Hochbordradwegen der Fall ist.
  • Im Jahr 2021 wurden erneuert und verbreitert: 0,14 km einseitiger Radweg auf der Attilastraße zwischen Attilaplatz und Tankredstraße.
  • Die vorhandenen Planungen zur Marienfelder Allee, zur Schöneberger Straße, zur Boelckestraße ruhen. Es wurden keine neuen Planungen begonnen, so dass auch für die kommenden Jahre kein Vorlauf geschaffen wurde.
  • Die Bilanz für 2021: Nur ca. 0,14 km Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen wurden errichtet. Das ist um den Faktor 150 zu wenig im Vergleich zu den Zielen des Mobilitätsgesetzes.
Erneuerter Radweg Attilastraße

Popup-Radwege

  • Auf dem Tempelhofer und Mariendorfer Damm wurden 2021 für den Ersatzverkehr für die gesperrte U-Bahnlinie 6 temporäre ungeschützte Radfahrstreifen mit Freigaben für den Linienverkehr angelegt. Das wollen wir hier in unserer Bilanz als Popup-Radweg eingruppieren, auch wenn der ausschlaggebende Anlass der Busverkehr war und die Radfahrstreifen – anders als ein Popup-Radweg – nicht ausschließlich dem Radverkehr vorbehalten war.
  • Die Länge dieser Radfahrstreifen betrug je Straßenseite ca. 2,9 km (gleich 5,8 km)
  • Die Bilanz für 2021: Die Bilanz ist mit 5,8 km Popup-Radfahrstreifen gut.
Radfahrstreifen auf dem Tempelhofer Damm

Sichere Knotenpunkte

  • Das Mobilitätsgesetz sieht vor, dass jährlich mindestens 30 der gefährlichsten Knotenpunkte in Berlin so verändert werden, dass die Gefahrenquellen bestmöglich beseitigt werden und die Verkehrssicherheit erhöht wird.
  • Im Stadtbezirk wurde 2021 kein einziger Knotenpunkt entschärft.
  • Nach einem schweren Unfall an der Kreuzung Großbeerenstraßen/Friedenstraße/Lankwitzer (ein rechtsabbiegender LKW-Fahrer ignorierte den Vorrang einer Radfahrenden und überrollte sie) fand auf unsere Initiative hin ein Vor-Ort-Termin mit der Senatsverwaltung und dem Bezirksamt statt. Das Ergebnis: Der Abbiegeradius für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge aus der Großbeeren- in die Friedenstraße soll mit Sperrfläche und Protektionselementen verringert werden, so dass die Abbiegegeschwindigkeit sinkt und geschützte Flächen für den Radverkehr entstehen. Leider wurden im Jahr 2021 nur die Sperrflächen markiert, aber die Protektion unterblieb. So fahren nun die Abbiegenden schwungvoll direkt ÜBER die Sperrflächen, statt langsam außer herum. Das Ergebnis ist gefährlicher als zuvor, weil sich Radfahrende möglicherweise in falscher Sicherheit wiegen.
  • Die Bilanz für 2021: Ziele komplett verfehlt.
Neue Sperrflächen an der Kreuzung Großbeeren/Friedenstraße

Ausweisen von neuen Fahrradstraßen

  • Fahrradstraßen sind nach Mobilitätsgesetz geeignete Radverkehrsanlagen im Nebennetz, um Radfahrende gegenüber dem motorisierten Verkehr zu bevorzugen. Deshalb sollen viele Fahrradstraßen neu eingerichtet werden.
  • Das Bezirksamt beauftragte 2020 einen externen Planer, um die Fahrradstraße Handjerystraße, die Ost-West-Fahrradstraße über Belziger, Monumentenstraße und die Fahrradstraße Diedersdorfer Weg zu planen. Im Jahr 2021 wurden die Planungsergebnisse (Bestandserfassung, Verkehrszählung, Vorplanung) präsentiert. Die Senatsverwaltung hat auch eine wichtige Vorbedingung für die Fahrradstraße erfüllt, indem sie die Monumenten- und Langenscheidtstraße aus dem übergeordneten Straßennetz entlassen hat.
  • Allerdings: Aus Personalmangel im Bezirksamt gab es seither keine Fortschritte mehr. Im Jahr 2021 wurde keine einzige Fahrradstraße im Bezirk tatsächlich eingerichtet.
  • Die Bilanz für 2021: Einige Planungsfortschritte, keine Bauausführung. Ziele nicht erreicht.

Radverkehrsanlagen im Nebennetz

  • Zu diesem Punkt zählen Maßnahmen, die innerhalb des Nebenroutennetzes im Stadtbezirk umzusetzen sind. Das Nebenroutennetz ist allerdings eine ältere Planungsgrundlage, die gemäß Mobilitätsgesetz weiterzuentwickeln ist. Es geht jetzt in dem deutlich dichteren Radverkehrsnetz für das Land Berlin auf, welches der Senat im Jahr 2021 beschloss.
  • Betrachten wir jetzt hier allein die Fortschritte im älteren Nebenroutennetz, an denen der Stadtbezirk arbeitet.
  • Gehen wir jede einzelne Maßnahme durch: Vorweg sei gesagt: Jede dieser Maßnahmen ist von sehr begrenzter örtlicher Ausdehnung, oft handelt es sich nur um einen kleinen Knotenpunkt, eine kurze Strecke oder Querung. Auch die Baukosten sind gering, sie liegen im 5-stelligen oder niedrigen 6-stelligen Bereich.
    • Querung der Potsdamer Straße, Höhe Alvenslebenstraße und Winterfeldtstraße – kein Fortschritt in der Planung.
    • Ringstraße von Kaiserstraße bis Knotenpunkt Ringstraße/Rathausstraße (Markieren Radverkehrsstreifen) – kein Fortschritt in der Planung.
    • Zweirichtungsradweg Alt-Mariendorf zwischen Großbeerenstraße und Forddamm – kein Fortschritt in der Planung.
    • Mariendorfer-Hafen-Weg (Ausbau Radverkehrsanlage) Anbindung Lankwitzer Straße bis Lichtsignalanlage 16051 und Knotenpunkt Haynauer Straße (Querungshilfe) – kein Fortschritt in der Planung.
    • Knotenpunkt Alt-Tempelhof/Schönburgstraße (Verlängerung Schutzstreifen und Querungshilfe) – kein Fortschritt 2020.
    • Schönburgstraße (Asphaltierung) von Alt-Tempelhof bis Parkstraße – kein Fortschritt.
    • Parkstraße – Blumenthalstraße von Schönburgstraße bis Friedensplatz – kein Fortschritt.
    • Lintruper Straße zwischen Lessing- und Goethestraße – kein Fortschritt.
    • Radverkehrsführung südlich Bf Südkreuz – Projekt wurde abgebrochen, weil InfraVelo dort eine Radschnellverbindung plant.
    • Schöneberger Schleife, Yorckplätze bis Cheruskerpark (Verbesserung Radverkehrsführung) – kein Fortschritt.
  • Die Bilanz für 2021: Ergebnis nahezu Null.

Instandhaltungen von Radverkehrsanlagen im Bestandsnetz

  • Die bestehenden Radverkehrsanlagen sind häufig viele Jahrzehnte alt und nicht gepflegt. Deshalb befinden sie sich vielerorts in einem beklagenswerten oder gar gefährlichen Zustand: Löcher, Wurzelaufbrüche, defekte Entwässerungen, Wasserlachen, unebene Beläge… Es gäbe also sehr viel instand zu setzen, auch im Stadtbezirk. Das sind Arbeiten, die in der Regel mit wenig Aufwand zu planen und zu bauen sind.
  • Die im Vorjahr unter diesem Punkt genannten Projekte Attilastraße und Vorarlberger Damm haben wir bereits oben in den Punkten Vorrangnetz und Radverkehrsanlagen an Hauptstraßen behandelt.
  • Die Bilanz für 2021: Keine wesentlichen Instandsetzungen an Radverkehrsanlagen im Bestandsnetz.

Fahrradparken

  • SenUVK hat Anfang 2018 ein 100.000-Bügel-Programm aufgelegt: Fahrradbügel, die berlinweit auf öffentlichen Straßen und Plätzen aufzustellen sind, um das Fahrradparken grundsätzlich zu verbessern. Davon entfallen rechnerisch ca. 8.000 Fahrradbügel auf den Stadtbezirk.
  • Wir hatten im Februar 2018 hier dazu aufgerufen, mögliche Standorte für Fahrradbügel auf unserer Webseite einzugeben, um sie dann gesammelt an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg zu übergeben. Insgesamt gaben uns Bürgerinnen und Bürger über 220 Standortwünsche für über 2000 Fahrradbügel.
  • Das Bezirksamt beauftragte dann erst Ende 2018 ein Planungsbüro für Konzept und Bauplanung. Auch 2021 wurden keine Ergebnisse dieses Planungsauftrags vom Bezirksamt vorgestellt!
  • Das Bezirksamt hat in Eigenregie einige Fahrradbügel aufgestellt. Deren Anzahl ist uns nicht bekannt. Sie dürfte maximal im dreistelligen Bereich liegen.
  • Die Bilanz für 2021: Gemessen am Ziel von 8.000 Fahrradbügeln im Bezirk nur geringe Ergebnisse.

Grünbeschichtung von Radfahrstreifen

  • Vorhandene Radfahrstreifen sollen grün markiert werden.
  • Das Management von Planung und Bauausführung erledigt InfraVelo im Auftrag von SenUVK.
  • Im Bezirk wurde 2021 kein Radfahrstreifen grün markiert.
  • Die Bilanz für 2021: Ergebnis gleich Null.

Fassen wir zusammen

  • Gegenüber dem Vorjahr gibt es zumindest kleine Fortschritte: Beim Vorrangnetz ist ein größeres Projekt (Bülow- und Kleiststraße) gut gelungen. Die Popup-Radfahrstreifen auf Tempelhofer und Mariendorfer Damm machen Hoffnung. Aber gemessen an den Zielen des Mobilitätsgesetzes und des Radverkehrsplanes reichen diese kleinen Fortschritte bei Weitem nicht.
  • Bei allen anderen Elementen der Radverkehrsinfrastruktur herrscht Ebbe: Selbst einfache Aufgaben, die nur geringe Planungs- und Bauaufwände verursachen (Fahrradstraßen, Instandhaltungen) kommen nicht voran.
  • Das Tempo des Planens und Bauens muss sich vervielfachen, um annähernd an die Ziele des Mobilitätsgesetzes, des Radverkehrsplanes und der Koalitionsvereinbarung des Landes zu erreichen.