Mit großen Erwartungen trat im Dezember 2016 die rot-rot-grüne Koalition ihr Amt an, in den Stadtbezirken nahmen neue Bürgermeisterinnen, Bürgermeister, Dezernentinnen und Dezernenten ihre Arbeit auf. Wir nehmen den ersten Jahrestag zum Anlass, eine Zwischenbilanz bei den Belangen des Radverkehrs für den Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg zu ziehen.

Sucht man zunächst nach im Stadtbezirk im Jahre 2017 realisierten sicheren Radverkehrsanlagen, entschärften Kreuzungen, eingerichteten Fahrradstraßen, nennenswerten Instandhaltungen an Radwegen oder neuen Abstellanlagen, so findet man leider fast nichts:

  • An keiner Hauptstraße des Bezirks wurden neue und sichere Radverkehrsanlagen errichtet. Pläne für die Marienfelder Allee und Boelkestraße verzögerten sich aus Personalmangel und anderen Gründen erheblich.
  • Nur an wenigen Stellen im Nebenroutennetz wurden punktuelle Verbesserungen erreicht.
  • Keine einzige für den Radverkehr gefährliche Kreuzung wurde entschärft.
  • Die vorhandene Radinfrastruktur, an vielen Stellen desolat, zerfiel weiter, nennenswerte Instandhaltungen fanden nicht statt.
  • Es wurde keine Fahrradstraße neu ausgewiesen.
  • Einige Einbahnstraßen wurden in Gegenrichtung für den Radverkehr geöffnet.
  • An Schulen und öffentlichen Gebäuden wurde begonnen, Fahrradabstellanlagen zu errichten. Von einer wesentlichen Verbesserung des Fahrradparkens sind wir allerdings noch sehr weit entfernt. Es fehlen flächendeckende Abstellanlagen, insbesondere an U- und S-Bahnhöfen, Einkaufszentren, öffentlichen Gebäuden und dichten Wohngebieten.

Nun bedürfen Veränderungen an der Verkehrsinfrastruktur vorherige Planungen und Abstimmungen, die üblicherweise mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Dafür benötigt man Fachplanerinnen und Fachplaner in der Verwaltung, woran es derzeit immer noch mangelt. Der Stadtbezirk hätte zwei neue Stellen für Radverkehrsplanungen besetzen können, das gelang aber bisher nicht. Voraussichtlich wird am Jahresanfang 2018 wenigstens eine Stelle davon besetzt.

Das vorhandene Personal ist für die anstehenden Aufgaben nicht ausreichend. Es befasst sich momentan mit älteren Projekten aus der vorhergehenden Legislaturperiode oder mit Kleinstprojekten im Nebenroutennetz. Wegen Überlastung konnte kein einziges großes neues Projekt planerisch begonnen werden.

Wenn es so weitergeht, werden auch in den kommenden zwei bis drei Jahren keine nennenswerten Verbesserungen im Stadtbezirk eintreten, weil der planerische Vorlauf fehlt. Das wäre ein Armutszeugnis für die Regierung und Verwaltung.

Auf der anderen Seite stehen viele Ankündigungen und einige Beschlüsse, etwas für den Radverkehr zu tun:

  • Bezirksverordnetenversammlung und Verwaltung sprachen sich aufgrund unseres Einwohnerantrags für sichere Radverkehrsanlagen am Tempelhofer Damm aus und nahmen erste Gespräche und Abstimmungen dazu auf.
  • Die zuständige Stadträtin Frau Christiane Heiß bekundete vielfach ihren Willen, die Radinfrastruktur im Bezirk zu verbessern. Sie schob die Personalsuche für Fachplaner an, setze Öffnungen von Einbahnstraßen in Gegenrichtung durch und startete ein Programm zum Aufstellen von Fahrradbügeln an Schulen und öffentlichen Einrichtungen.
  • Im FahrRat und im Verkehrsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung überwogen fahrradfreundliche Initiativen.

Das kommende Jahr 2018 wird das Entscheidende sein, von dem an die Verwaltung liefern muss:

  • An der Schöneberger Hauptstrasse besteht dringender Handlungsbedarf

    Das Straßen- und Grünflächenamt muss spätestens zu Beginn des Jahres personell aufstockt werden, so dass für neue Planungen genügend Ressourcen verfügbar sind.

  • Das Planungs- und Beteiligungsverfahren für sichere Radverkehrsanlagen am Tempelhofer Damm muss Anfang 2018 begonnen und bis Ende 2018 abgeschlossen werden, so dass das Projekt spätestens 2019 umgesetzt werden kann.
  • Projekte an Radverkehrsanlagen, die noch aus der vorhergehenden Legislaturperiode stammen, müssen nun umgehend realisiert werden. Sofern sie im krassen Widerspruch zu den neuen Anforderungen an Radverkehrsanlagen laut Mobilitätsgesetz stehen, müssen sie in angepasster Form umgesetzt werden.
  • Die Verpflichtung aus dem Mobilitätsgesetz, an allen Hauptstraßen sichere Radverkehrsanlagen zu errichten, muss zügig angegangen werden. Dazu sind neben dem Tempelhofer Damm, der Marienfelder Allee und der Boelkestraße weitere Hauptstraßen auszuwählen, an denen mit der Planung nach neuem Standard begonnen wird. Dafür wäre aus unserer Sicht auch der Straßenzug der Bundesstrasse 1 (Hauptstraße und Potsdamer Straße) geeignet.
  • Gerade für große Projekte muss der Stadtbezirk aktiv auf die neugegründete infraVelo GmbH zugehen und sie dafür gewinnen, diese Projekte zu übernehmen, zu beplanen und die Ausführung zu überwachen. Nur so kann das Personal im Bezirk entlastet werden.
  • Das Einrichten von Fahrradstraßen ist ein wichtiger Baustein für das Erschließen der Fläche und für Nebenrouten im Netz. Auch hier müssen im Jahr 2018 geeignete Projekte ausgewählt und beplant, ggf. sogar umgesetzt werden.
  • Die Instandhaltung von Radverkehrsanlagen muss deutlich verstärkt werden. Dafür sind insbesondere die Wege prädestiniert, die in den nächsten Jahren nicht von einem Ausbau nach neuem Standard betroffen sind. Akute Unfallgefahren wie z. B. von Wurzeln aufgebrochene Deckschichten, Schlaglöcher, lose Pflasterungen müssen viel schneller beseitigt werden.
  • Die Planung für Abstellanlagen im ganzen Bezirk muss gleich zu Beginn des Jahres 2018 aufgenommen und bis Jahresmitte abgeschlossen werden. Im zweiten Halbjahr 2018 sollten an vielen Stellen neue Abstellanlagen gebaut werden. Das flächendeckende Programm sollte bis 2019 abgeschlossen werden.

Viele Dicke Bretter, die 2018 gebohrt werden müssen! Aber nur so ist die Verkehrswende in Berlin und in unserem Stadtbezirk längerfristig zu schaffen.